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100 km-WM: Deutschland Fünfter!

von Johannes Arens

Am 7. Dezember 2024 hatte ich nach der 100km-WM 2022 in Berlin zum zweiten Mal die Ehre, das Nationaltrikot überzustreifen und mit der deutschen Mannschaft über 100km an den Start gehen. Mit mir auf die Reise machten sich der diesjährige deutsche Meister Max Kirschbaum, der diesjährige DM-Drittplatzierte Martin Müller und der deutsche Meister und WM-10. von 2022 Alexander Bock. Begleitet und betreut wurden wir von Teammanager André Collet, seiner Partnerin Beate und Max' Tochter Mia, und bildeten so ein eher kleines, aber umso feineres und kameradschaftliches Team. 

Diesmal war Bengaluru in Indien der Gastgeber, was einen Wettkampf bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit mit sich brachte - aber das sollte nicht die einzige Widrigkeit bleiben, die es zu überwinden galt... Für mich selbst verlief schon meine Vorbereitung überaus holprig. Nach der eher enttäuschenden deutschen 100km-Meisterschaft im September in Kandel (nur 7:05h, aber immerhin wie schon im Vorjahr Vizemeister) kam ich gerade wieder halbwegs in Schwung, als ich mich Ende Oktober eine schmerzhafte Rippenprellung außer Gefecht setzte. Wochenlang war ich stark beeinträchtigt, eine spezifische Vorbereitung war kaum noch möglich. Alexander kam dagegen nach längerer Verletzungspause wieder in gute Form, auch wenn im November ein Muskelfaserriss ein paar wichtige Einheiten kostete. Max und Martin konnten jeweils, nach etwas Erholung von Kandel, solide trainieren. 

Martin kam als Vorhut ein paar Tage früher in Bengaluru an, bis Mittwoch waren wir dann alle versammelt, um uns noch etwas vor dem samstäglichen Wettkampf zu akklimatisieren. Am Mittwochnachmittag erkundeten wir kurz die Wettkampfstrecke und nahmen einige tückische Bodenwellen und Schlaglöcher zur Kenntnis. 

Der Verkehr in Bengaluru, wie wir ihn z.B. auf der Fahrt zur Wettkampfstrecke erlebten, ist aus deutscher Sicht wirklich abenteuerlich, mit permanentem Hupen, dichtestmöglichem Auffahren und routiniert-waghalsigen Manövern. Um noch etwas mehr lokale Eindrücke als nur das (schöne) Hotel und den chaotischen Verkehr mitzunehmen, machten wir am Donnerstag noch einen kleinen Ausflug zu ein paar örtlichen Tempeln, ansonsten fokussierten wir uns als Mannschaft auf den Wettkampf, inklusive ein paar Mannschafts-Morgenläufen im örtlichen Stadion und im nahen Park. 

Am Freitag füllte ich meine 20 Flaschen ab, diesmal etwas mehr auf Abwechslung achtend (im Wechsel Ahornsirup und Wasser + Gel), bevor es zur Eröffnungsfeier ging, mit ein paar Reden und der Vorstellung der Nationalmannschaften, von 1-Mann-Teams (z.B. Aserbaidschan oder Schweiz) über mittelgroße Teams wie das unsere bis hin zu Großdelegationen wie Kroatien oder Frankreich (mit vollen Mannschaften, eigenen Physios und Ärzten etc.). Das Abendessen war wie immer ein Buffet, mit der besonderen Herausforderung für empfindliche Sportlermägen, unter der großen Auswahl an indischen Gerichten ein paar nicht-scharfe Optionen zu identifizieren... Dann war es Zeit für frühe Nachtruhe vor dem großen Tag mit Frühstück um 3 Uhr und Startschuss um 6 Uhr. 

In Anbetracht der schwierigen Bedingungen - 21 Grad zu Beginn, 27 Grad am Ende; 95% Luftfeuchtigkeit; sowie eine kleine aber merkliche Steigung im 20 Mal zu durchlaufenden 5km-Kurs - wollten wir im deutschen Team eher konservativ starten. Kurz vor dem Start um 6:15 stimmte uns André in einer letzten kurzen Teamrunde mit ein paar Worten auf die kommenden Herausforderungen ein, während Beate und Mia letzte Vorbereitungen an der Verpflegungsstation trafen. 

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Vom Startschuss weg gelang uns der zurückhaltende Start recht gut. Alexander, Max und Martin legten stabil aber nicht übermütig los, ich hielt mich mit Blick auf meinen Trainingsrückstand noch etwas mehr zurück und pendelte mich auf Kilometerzeiten von 4:10-4:20 ein. Vorne legten derweil die Japaner ein Höllentempo vor, dicht gefolgt von ein paar Spaniern und einer großen britischen Gruppe. Leider gesellten sich zu der Wärme frühzeitig noch andere Herausforderungen für mich: Auf der ersten Hälfte war mein Magen noch nicht ganz auf Trab, drei Toilettenpausen sind alles andere als optimal - aber glücklicherweise renkte sich das wieder ein, und ich bekam meinen Sirup und meine Gels alle wie geplant herunter, die Energiezufuhr war sichergestellt. Echte Gefahr drohte dagegen vom Auto- und Motorradverkehr auf der Strecke (!). Theoretisch war die Strecke abgesperrt, aber praktisch schienen die Streckenposten jeden durchzuwinken, der laut genug hupte, wenn die Absperrungen nicht gleich komplett aufgegeben wurden. Zeitweise wurde es richtig chaotisch, man wurde von flotten Motorrädern überholt, Läufer mussten Autos ausweichen, einmal kam ein seitlich anbrausendes Motorrad nur Zentimeter vor mir zum Stehen. Erst im späteren Verlauf bekamen die Organisatoren die Lage halbegs in den Griff.

Etwa bei km 35 wurde ich von einer besonders chaotischen Szene auf der Gegengerade abgelenkt - prompt übersah ich eine der vielen Bodenwellen, und es legte mich der Länge nach hin. Äußerst ärgerlich! Den Dreck wusch ich an der nächsten Wasserstelle notdürftig wieder ab - ein blutiges Knie und eine schmerzende Hüfte blieben mir für den Rest des Rennens. Mein Tempo sackte prompt auf 4:30 bis 4:40 ab. Meine hinteren Oberschenkel waren schon länger sehr fest, nun strahlte die rechte Hüfte zusätzlich dortin aus - es war nun klar, dass es ein echter Kampf werden würde, das Rennen überhaupt zu finishen. 

50km passierte ich noch in halbwegs passablen 3:37, aber es ging für mich v.a. muskulär immer weiter bergab. Ab km 60 musste ich regelmäßig Gehpausen von 100-200m einlegen. Das letzte Mal, dass ich in einem Wettkampf Gehpausen machen musste, dürfte etwa 1998 der Fall gewesen sein, als ich als Grundschüler große Schwierigkeiten mit einem ungemein langen Rennen (800m?) hatte... 

Wieder einmal war ich an dem in einem 100er offenbar unvermeidlichen Punkt, dass Aussteigen wie eine sehr reale und (laut innerem Schweinehund) auch vernünftige Option erschien. Wieder einmal hielten mich v.a. der Gedanke an die (aus der Ferne) mitfiebernde Familie im Rennen, sowie natürlich das Bewusstsein, hier nicht nur als Einzelstarter unterwegs zu sein, sondern auch mit dem Bundesadler auf der Brust! Alexander und Martin machten weiterhin ein sehr starkes Rennen und hatten mich schon längst überrundet - während Max inzwischen offenbar selbst große Probleme hatte, sodass ich als potentieller dritter Mann unbedingt im Rennen bleiben musste. Tatsächlich schloss ich bei km 75 zu Max auf. Leider hatten ihn massive Magenprobleme getroffen (das indische Essen?), und während ich immerhin noch mit kurzen Gehpausen weiterlaufen konnte, war er inzwischen andersherum zu nur noch kurzen Laufversuchen zwischen langen Gehstrecken verurteilt. Ein paar Kilometer versuchten wir es zusammen. Als endgültig klar war, dass für Max Laufen praktisch nicht mehr möglich war, machte ich mich wieder auf den Weg. Beim nächsten Verpflegungsdurchgang gab ich André zu verstehen, dass ich mein Rennen definitiv (wenn auch langsam) ins Ziel bringen würde, sodass die Mannschaftswertung (3 Läufer) sicher war und Max seinen unfreiwilligen "Wandertag" (Zitat Max) beenden konnte. 

Auf den letzten Runden - mein Tempo hatte sich nun auf 5:30-6:10 eingependelt, aber mehr gab die Beinmuskulatur einfach nicht her - lichtete sich das Feld zusehends, als immer mehr Läufer ins Ziel kamen - und auch immer mehr Läufer vorzeitig ausstiegen. Von 111 Startern im Männerfeld sollten nur 71 ins Ziel kommen. Für mich selbst war die Quälerei nach 8:36 endlich beendet, was Platz 51 in der Einzelwertung bedeutete, beides weit, weit entfernt von meinen Zielen. Alexander (7:10, Platz 23) und Martin (7:16, Platz 27) hatten dagegen exzellente Rennen abgeliefert. Weltmeister wurde, in unfassbar schnellen 6:12, der Japaner Jumpei Yamaguchi, bei den Frauen siegte die Französin Floriane Hot in 7:08, deren Nationen jeweils auch Teamweltmeister wurden.

Meine bescheidene Zeit reichte immerhin noch für eine Punktlandung der deutschen Mannschaft auf Platz 5 der Mannschaftswertung, nur eine Minute vor den Polen auf Platz 6 - während uns über zwei Stunden von den USA auf Platz 4 trennten (hinter dem Podium aus Japan, Spanien und Großbritannien). Platz 5 mit der Mannschaft ist ein starkes Ergebnis, auf das alle Mitgereisten als Team stolz sein können. Alexander und Martin können außerdem sehr zufrieden auf exzellente Einzelleistungen blicken - insbesondere Martin, für den es das Nationalmannschaftsdebüt und erst der zweite Straßen-100er überhaupt war. Max hatte bei seinem ersten Start im Nationaltrikot großes Pech - umso bedauerlicher, als es ihn das Pech auch schon vor zwei Jahren ereilte, als er in Berlin verletzt gar nicht erst starten konnte; die Saison insgesamt war v.a. mit seinem wohlverdienten ersten deutschen Meistertitel aber trotzdem ein großer Erfolg. Ich selbst bin trotz allem stolz, dass ich das Rennen überhaupt und trotz aller Widrigkeiten zu Ende gebracht habe und noch zum Mannschaftserfolg beitragen konnte, und bin dankbar für ein weiteres tolles Erlebnis, mit diesen großartigen Mitkämpfern und Betreuern, als Teil der deutschen Nationalmannschaft! 

 

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