Polen sahnt ab bei der 24-Stunden-EM, aber Deutschland untermauert 24h-Stärke
Bei der vorbildlich organisierten 22. Europameisterschaft im 24-h-Lauf konnten sich mit der Favoritin, aktuellen Weltmeisterin und Weltrekordhalterin Patrycja Bereznowska sowie Mitfavorit Andrejz Radzikowski zwei polnische Ultraathleten im Einzel durchsetzen. In der Teamwertung waren die Polinnen unangefochten vorn, bei den Männern konnte sich Frankreich den Team-Titel holen. Die deutschen Starter holten zwei Medaillen: das Frauenteam Silber und die Männer Bronze.
Für Deutschland waren Florian Reus (LG Würzburg), Stu Thoms (LG Nord Berlin), Christof Kühner (Spvgg Holzgerlingen), Marcel Leuze (Turnerbund Hamburg Eilbeck) und VizStefan Wilsdorf (LAC Rudolstadt) sowie Antje Krause (Ultra Sport Club Marburg), Julia Fatton (TV Rheinau 1893), Anke Libuda (BSG Springorum Bochum), Heike Bergmann (LG Nord Berlin) und Nadja Koch (SCC Scharmede) am Start - mitten unter 173 Athleten aus 30 Ländern. Im hochkompetitiven Feld unter anderem die Titelverteidiger Maria Jansson (SWE) und Dan Lawson (GBR).
Bei den Männern wurde es das erwartete sehr enge Rennen: neben Andrejz Radzikowski, Titelverteidiger Dan Lawson und dem bereits 3x mit EM-Gold bedachten Florian Reus gehörten auch Stephane Ruel (FRA), Aleksandr Sorokin (Litauen), Tore Taranger (NOR), Johan Steene (SWE) und eine Handvoll weiterer Läufer aus Ungarn, Tschechien, Frankreich und Großbritannien zum Favoritenkreis. Anfänglich machten zwei rumänische Läufer ordentlich Dampf, sie wurden aber noch von Alexander Sorokin übertroffen, der mit der gleichen Harakiri-Taktik wie bei der EM 2016 in Albi trotz großer Hitze (ca. 24 Grad anfangs, bis knapp 30 Grad am Nachmittag) im sub 4:10er –Schnitt loslegt und die 100km-Marke nach 7:30 h erreichte. Der nach 12 Rennstunden sehr spannende Rennverlauf kann hier nur stark kondensiert beschrieben werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Sorokin freiwillig in die Rolle des Hasen begeben hatte und seinen Jägern nach etwa 12 h das Heft des Handelns überliess, weil er natürlich kontinuierlich langsamer wurde. Aber er hielt sich bei dieser EM sehr lange ganz vorn und wurde erst in den letzten 90 Minuten zunächst von Ruel, dann von Radzikowski überrannt. Und dann nutzte Andrejz sein Jägertempo (teilweise im sub5er-Schnitt unterwegs) und überholte Stephane. Für lange Zeit sah der Spanier Nicolas de las Heras Monforte als erster Verfolger von Sorokin wie ein sicherer Medaillengewinner aus, konnte in den letzten zwei Stunden aber nicht mehr ganz das Tempo halten und rutschte noch auf Platz 4 ab. Die Leistungen von 265,4, 263,5 und 261,0 km für Andrejz Radzikowski, Stephane Ruel bzw. Aleksandr Sorokin sind aller Ehren wert, besonders wenn man die hochsommerlichen Bedingungen (sogar mit einem ziemlich kräftigen Gewitterguss) in Betracht zieht. Die weiteren Favoriten spielten keine oder nur eine vorübergehende Rolle. Flo Reus hatte sich in bekannter Manier Stück für Stück nach vorn gearbeitet, warf aber nach rund 16 Stunden das Handtuch.
Beste Deutsche wurden die Nationalteam-Neulinge Marcel Leuze und Stefan Wilsdorf, dazwischen noch Christof Kühner, alle drei mit neuen PBs von nun 242,8, 241,2 bzw 241,9 km und am Ende auf den Rängen 12, 15 bzw. 14 klassiert. Stu Thoms verabschiedete sich noch etwas früher als Flo aus dem Rennen.
Aufgrund von Ischiasproblemen musste Maria Jansson bereits nach einer Stunde ihren Laufversuch abbrechen. Dennoch gab es auch im Frauenfeld einen äusserst spannenden Wettkampf um die Spitzenplätze im Einzel. Die Rumänin Mara Alexandra Guler-Cionca setzte sich nach dem Start im Marathontempo an die Spitze und konnte die Pool-Position mehr als 6 Stunden halten. Abgelöst wurde sie von Antonia Orlic (Kroatien), die wiederum etwa zu Beginn des letzten Renndrittels von der Dänin Stine Rex und schliesslich Patrycja Bereznowska abgelöst wurde. Quälend langsam war der Weg von Patrycja Bereznowska an die Spitze, und dieser EM-Sieg war für sie ein ganz hartes Stück Arbeit. Sie machte Platz um Platz gut, obwohl auch sie langsamer wurde, aber eben nicht so stark wie ihre Konkurrentinnen oder Mitfavoritinnen, die teilweise das Rennen komplett abbrachen. Tine Rex hielt mit und hatte am Ende mit 241, 9 zu 243, 4 km nur knapp 1,5 km Rückstand auf Gold. Eine weitere Polin, Margozata Pazda-Pozorska, gewann mit 240, 7 km Bronze. Die Frauen aus Polen belegten die Einzelplätze 1, 3, 4, 6 und 9 und wären an diesem Tag auch mit ihrer zweiten Garnitur Team-Europameister geworden!
Zu den Enttäuschten im Frauenfeld gehörten Anne Marie Geisler Andersen (DEN), Therese Falk (NOR), alle Kroatinnen, die Frauen aus Tschechien und Ungarn und leider auch Nadja Koch als unsere EM-Novizin, die nach 15 Stunden nur noch ab und zu auf den Kurs ging. Etwas später musste auch Heike Bergmann den Anstrengungen mit Magenproblemen Tribut zollen. Die 3 anderen deutschen Frauen schlugen sich gerade im letzten Renndrittel ganz ausgezeichnet. Julia Fattons Platz 8 als einzige deutsche Top-10-Platzierung bei dieser EM mit 223,4 km, Antje Krause als 11. mit 216,7 km sowie Anke Libuda auf 12 und 216,1 km bedeuteten am Ende Platz 2 in der Teamwertung.
Die Frauen-Teamwertung wurde ganz zu Anfang von Rumänien angeführt, auch Ungarn, Tschechien und Kroatien waren in den ersten 6 Stunden teilweise noch vor Polen. Anfänglich nur auf Platz 12, gelang den deutschen Frauen über Platz 10 nach 6 Stunden und Rang 9 nach 12 Stunden in der wieder mal entscheidenden Nacht ein allmählicher Vormarsch. Zunächst wurde Frankreich eingesammelt, dann platzten nacheinander Tschechien und Ungarn, auch an Kroatien war Team Germany nach 16 Stunden heran und vorbei. Nach 18 Stunden war das Team dann erstmals auf Medaillenkurs bzw. –rang, zunächst im knappen Hin& Her mit den Britinnen, aber nach 22 Stunden hatten sich unsere 3 Besten doch etwa 3 Runden Vorsprung erlaufen, den sie bis zum Ende noch etwas ausbauen konnten und schliesslich mit über 10km vor den Britinnen die Silbermedaille gewannen. Unangefochten vorne natürlich Polen.
Auch bei den Männern lag Gastgeber Rumänien in der Teamwertung anfänglich ganz vorn, Spanien, Ungarn, Tschechien, Italien, Ukraine und Dänemark mischten in den ersten 8 Stunden kräftig mit. Die weiteren Favoriten Polen, Frankreich, Deutschland und vor allem Großbritannien starteten etwas zurückhaltender. Dennoch lag das deutsche Team nach zweistelliger Platzziffer in den allerersten Stunden schon vor „Halbzeit“ auf den Rängen 2 - 4, immer wieder abwechselnd mit den rundengleichen Teams aus Tschechien, Spanien und Frankreich. Nach 12 Stunden war Team Germany sogar eindeutig vorne und hielt die Führung bis zum Ausstieg von Flo Reus. Durch eine feine Leistung ihrer Top3-Leute im Schlussviertel zogen die Franzosen und Briten an unseren verbliebenen 3 Matadoren vorbei, aber mit der geschlossenen Mannschaftsleistung wie oben aufgezählt liessen sie weder Ungarn noch Polen gefährlich dicht heran. Auch wenn es zwischendurch sogar nach einem noch besseren Resultat aussah, waren alle im Team glücklich über Bronze für ein Männerteam, bei dem die beiden erfahrensten Top-Leute nicht in Wertung kamen.
Mit diesen Team-Medaillen haben die deutschen Langultra-Spezialisten eine erneute Bestätigung ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit geliefert.
Dr. Norbert Madry