Natalia Gamm-Fuchs im Gespräch mit Werner Sonntag
Lieber Werner, Du hast in den vergangenen 45 Jahren eine einzigartige Karriere als Laufjournalist und Kultbuchautor im Ultralaufsport erlebt. An dieser Stelle meine tiefe Bewunderung für all Dein Schaffen, Deinen starken Willen und Deine positive Einstellung im Leben!
Wie ist es Dir gelungen, soviel im Leben zu leisten? Was ist das Erfolgsgeheimnis Deiner Produktivität?
W. S.: Ein Vorzug hohen Alters ist, daß es dann kaum noch Menschen gibt, die sich an die Schwächen und die Fehler des Überlebenden erinnern können. So kommt es, daß einem im Alter Bewunderung zufließt. Davon sollte man sich nicht im mindesten blenden lassen. Ein Erfolgsgeheimnis für Geleistetes? Für Menschen, die keine Genies sind, nicht einmal Halb-Genies, bleibt nur eine einzige Möglichkeit, ein reiches Arbeitsprogramm zu realisieren: lange genug leben und sich geistig einigermaßen frisch zu halten! Im Laufe der Zeit summiert sich’s.
Welche Abenteuer-Erlebnisse haben Dich in den vergangenen Jahren geprägt? An welche besonderen Augenblicke/Momente/Begegnungen erinnerst Du Dich am liebsten? Welche Persönlichkeiten sind bedeutend für Dein Leben gewesen?
W. S.: Abenteuer haben mich zwar nicht geprägt, sehr wohl aber eingeprägt. Der Ultramarathon ist schlechthin reich an einprägsamen Lauferlebnissen. Insbesondere denke ich immer wieder an den Swiss Alpine und den Spartathlon. In Biel und auf dem Rennsteig sorgt die Zahl der Wiederholungen dafür, daß mir die Strecken gegenwärtig sind. Es sind wohl keine großen Momente, an die ich mich am liebsten erinnere, ich denke, eher an das „kleine Glück“, an stille Momente der Gemeinsamkeit. Ich habe lange gebraucht, das Glück der Gemeinsamkeit mit meiner Frau zu erkennen und zu erleben. Aufs Laufen bezogen, denke ich daran, wie sie mich in Biel nach den 100 Kilometern empfangen und betreut hat. Persönlichkeiten, die bedeutend für mein Leben gewesen sind? Wenn sich für schreibende Menschen Leben im Stil ausdrückt, dann waren es Heinrich Heine und Kurt Tucholsky, die mich und wahrscheinlich auch meinen Stil beeinflußt haben, Heines unvermittelte Sprünge von der Lyrik zur Satire, Tucholskys soziale Leidenschaftlichkeit, sein Humor, der lange Zeit die Verzweiflung gemeistert hat. Ich denke an den Leiter meiner Schule, der mich, den Sohn eines Hilfsarbeiters und Schwerkriegsbeschädigten, motiviert und gefördert hat. Ich denke an einen Journalisten und Dozenten in meiner Heimatstadt, der eine Vorbildwirkung für mich gehabt hat.
Man sagt über den Geist des Menschen, daß die Seele ewig jung bleibt, auch wenn der Körper leider altert… Welchen Stellenwert hat das Laufen bzw. das Training an sich, auch im Hinblick auf Dein Alter, heute noch für Dich?
W. S.: Einen elementaren Wert. Physisches Training hemmt, finde ich, geistigen Abbau.
Wenn Du rückblickend Deine Laufkarriere betrachtest: Gibt es vielleicht doch noch einen unerfüllten Wunsch, eine Laufveranstaltung, an der Du noch teilnehmen möchtest?
W. S.: Es gibt eine ganze Anzahl von Laufveranstaltungen, an denen ich gern teilnehmen würde, wenn das physisch ginge, zum Beispiel unbedingt den Trail du Mont Blanc, den Marathon des Sables, den Badwater-Ultramarathon.
Was wäre Deines Erachtens im Vereinssport zu verbessern (in Bezug auf Sporternährung und Zeitlimitierung bei den Sportveranstaltungen)?
W. S.: Die klassischen Turn- und Sportvereine spielen im Hinblick auf das Laufen keine Rolle, es sei denn, sie seien Laufveranstalter. Die klassischen Turn- und Sportvereine haben wie der Dachverband der Leichtathletik, der DLV, die Bedeutung der Laufbewegung viel zu spät erkannt. Längst könnte die Laufbewegung sich selbst organisieren. Turn- und Sportvereine nehmen meines Erachtens die Chance nicht wahr, sich über Angebote gesunder Verpflegung zu profilieren. Im Langstreckenlauf fehlt es an Startmöglichkeiten für hochaltrige Läufer, die nicht mehr laufen können, sondern ihre Trainingsstrecken wandern. Man sollte daran denken, „Wettbewerbe“ auszuweisen, die auch gegangen statt gelaufen werden können. Die üblichen Walking-Wettbewerbe sind für die meisten meines Alters zu schnell, zum Beispiel die 35 Kilometer des Rennsteiglaufs von Schnepfenthal nach Oberhof. Wir brauchen „Wettbewerbe“, bei denen primär das Ankommen, nicht die Geschwindigkeit oder die Plazierung das Ziel ist.
Im November 2013 hast Du ein neues Buch, „Mehr als Marathon. Wege zum Ultralauf“ im Sportwelt Verlag, veröffentlicht: eine einzigartige und tiefgründige Ultralauf-Lektüre! Werner, was hat Dich dazu bewegt, Dein Ultralaufwissen auf 266 Seiten mit uns, Deinen Lesern, zu teilen?
W. S.: Als ich vor 28 Jahren das erste „Mehr als Marathon“ schrieb, war die Motivation ganz simpel: Es gab keine – zumindest deutschsprachige – Einführung in den Ultralauf. Es hat mich gereizt, nach jahrzehntelanger Erfahrung und dem Erscheinen zahlreicher Studien „Mehr als Marathon“ neu zu schreiben und dabei mit meinen Überzeugungen nicht hinterm Berge zu halten.
Wie sind Deine Pläne für die Zukunft, was hast Du für 2014 vor? Was möchtest Du umsetzen? Welche sportlichen Ziele hast Du Dir noch gesetzt? Ist eine neue Buchveröffentlichung von Dir für 2014/15 schon geplant?
W. S.: Ich habe keine sportlichen Ziele mehr, kann sie nicht haben. Ich werde im Jahr 2014 am Rennsteig an der Familienwanderung von Oberhof nach Schmiedefeld teilnehmen. Journalistisch plane ich, zwei englischsprachige Broschüren, die Andy Milroy initiiert und zusammengestellt hat, in einem deutschsprachigen Band mit dem Arbeitstitel „Ultratraining der Besten“ herauszugeben. Das ist ein sehr alter Plan; es ist an der Zeit, ihn zu realisieren.
Abschließend noch eine Frage: Was würdest Du jungen Ultramarathonis empfehlen? Was wäre Dein Rat an die jungen „grünen“ Wilden?
W. S.: Wenn es denn wirklich junge „wilde“ Ultramarathon-Einsteiger gäbe, würde ich empfehlen: So weit wie möglich trainingsfleißig zu sein und sehr viel Geduld zu haben.
Lieber Werner, ich bedanke mich ganz herzlich für das interessante Interview und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deiner neusten Buchveröffentlichung „Mehr als Marathon. Wege zum Ultralauf“ und gutes Gelingen, in allem, was Du noch vorhast!
Das Interview führte Natalia Gamm-Fuchs mit Werner Sonntag.